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Fabrizio Gatti: Bilal (Gelesen: 7522 mal)
anse
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Bei Waldbrand Tel. 1515

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Fabrizio Gatti: Bilal
19.02.2010 um 08:03:15
 
Bilal. Lesen! Danach ist man hoffentlich von dem Traum befreit, dass die Festung Europa und ihr Wohlstand sicher vor den Illegalen aus der armen Welt sind. Völkerwanderungen, das heißt ihre Wanderer, lassen sich nicht durch Gesetze und Verordnungen, auch nicht durch Grenzen und deren Bewachung aufhalten. Und nicht einmal durch das Verdursten in der Wüste und das Ersaufen im Mittelmeer. Die 300 km übers Meer sind der letzte Teil einer immensen Reise.
Auch der Rücktransport der Illegalen nach Libyen schreckt nicht ab oder stoppt die Massenwanderung, ein Rücktranport, den die Regierungen Merkel und Berlusconi mit Gaddafi ausgehandelt haben, der dann über die Wahrung der Menschenrechte im Auftrag der Demokratien Europas wacht. Absurd!
Fabrizio Gatti hat wie auf den Tomatenäckern Apuliens seine privilegierte Stellung als italienischer/ europäischer Staatsbürger abgelegt und hat als „normaler Teilnehmer“ an der modernen Sklaverei teilgenommen. Er hatte gewisse Chancen zum Ausstieg, wenn es lebensbedrohend wurde, die den Reisegefährten zwischen Dakar und Lampedusa nicht offen sind. Oder wenn er wie in Libyen unerwünschter Ausländer und Journalist war.
Ich lese jetzt erst einmal das Buch von vorne bis hinten, Teile davon kenne ich.
Vorab: das Buch gibt es in der Buchhandlung oder auch bei den Versendern im Internet. Fabrizio Gatti, Bilal, Kunstmann Verlag München 2010, 24,90 Euro, ISBN 978-3-88897-587-5.

Jetzt lese ich erst einmal.
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anse
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Bei Waldbrand Tel. 1515

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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #1 - 19.02.2010 um 21:21:24
 
Ich habe gerade das Buch zu Ende gelesen, bin emotional aufgewühlt, auch wenn ich mich immer wieder dabei erholt habe, auf dem Atlas die Etnfernungen  und die Weite nachzuvollziehen.
Die Rallye Dakar - Lampedusa geht inzwischen eher in der Gegenrichtung von Lampedusa und anderen Ankunftsorten an der Küsten der Guten Hoffnung im Süden Europas zurück nach außerhalb von Schengen, ins befreundete Libyen, das Dank Berlusconis Einsatz vom Schurkenstaat wieder in die geachtete Gemeinschaft der zivilisierten Staaten aufgenommen wurde.
Morgen mehr!
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Bei Waldbrand Tel. 1515

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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #2 - 04.03.2010 um 18:16:21
 
Ich habe „Bilal“ von Fabrizio Gatti erst einmal sacken lassen, nachdem ich es an einem Tag gelesen haben, denn zur Seite legen konnte ich es nicht.
Auf dem ersten langen Teil der Reise von Dakar bis an die libysche Grenze fährt er rechtlos, den Schikanen und der Gewalt von Polizei und Militär ausgesetzt wie Millionen Afrikaner auf überladenen, mit Menschen vollgestopften Schrottlastwagen durch die Wüste. Das Leben im nachkolonialen Afrika ist derart perspektivlos und verarmt, von Kriegen und Bürgerkriegen zerstört, der Müllplatz Europas, dass die Flucht ins Unbekannte, das Leben zu riskieren immer noch besser erscheint, als  in der Heimat das Martyrium ohne Ausweg zu tragen.
Überall warten Schleuser, Fahrer, korrupte Beamte auf Geld, auf viel Geld. Am schlimmsten sind die Flüchtlinge dran, die nichts mehr haben und irgendwo in der Wüste hängen bleiben. Gatti lernt beide Seiten kennen, ist Augenzeuge, Chronist, Zuhörer: die Menschenhändler und ihre Komplizen auf der einen Seite und die Menschen mit Namen und Antlitz, die aus dem Elend in erträglichere Verhältnisse wollen, auch als illegale Arbeitssklaven auf den Tomaten- und Broccolifeldern, als Schwarzarbeiter auf Baustellen ohne Arbeitsschutz. Aber von dem verdienten Lohn, der nach italienischen Verhältnissen miserabel ist, können sie die Familien in den zerstörten Ländern Afrikas unterstützen.
Libyen ist für Gatti verbotenes Land. Von dort berichten die beiden liberianischen Brüder Joseph und James von der Weiterreise. Auf die  Höllenfahrt durch die Wüste folgen noch schlimmere Verhältnisse in Tripolis, wo die  Flüchtlinge völlig rechtlos sind, gnadenlos ausgenommen werden und in ständiger Angst vor der Inhaftierung in den Lagern sind. In die kommen jene Bootsflüchtlinge, die von Lampedusa nach Libyen zurückgebracht werden.
Auf Lampedusa wird Gatti zum kurdischen Flüchtling Bilal, wird aus dem Meer gefischt und ins Flüchtlingslager gebracht, erlebt die „Gastfreundschaft“ des italienischen Staates, die Gewalttätigkeit, die Misshandlungen, bei denen kein Blut fließt, keinen Beweise sichtbar sind und den Rassismus  seiner Wärter, die Angst seiner Mitgefangenen. Und immer wieder doch noch Hoffnung.
Am Ende des Buches kann sich der Leser selbst eine Antwort darauf geben, warum Millionen Illegale es dennoch wagen, durch die Wüste und über das Meer in die „Festung Europa“ zu fliehen, dort auch niedrigsten und härtesten Arbeiten annehmen.
Wir sind mitten in einer Völkerwanderung, die ihren Ursprung in der Zerstörung der Kulturen Westafrikas und dem Sklavenhandel nach Nord- und Südamerika hat, der vor 500 Jahren begann.
Fabrizio Gatti, Bilal – Als Illegaler auf dem Weg nach Europa, Kunstmann Verlag 2010, 24,90 Euro, 460 Seiten, die von Friederike Hausmann und Rita Seuß vorzüglich übersetzt sind


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peuli132
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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #3 - 04.03.2010 um 18:44:56
 
Danke anse. Habe das Buch gerade bestellt.
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io vivro

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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #4 - 05.03.2010 um 22:44:27
 
Ciao anse,

ist das Buch vergleichbar mit dem "Der Traum vom Leben" von Klaus Brinkbäumer (ebenfalls Journalist, Redakteur beim "Spiegel")? Kennst du das?

Oder behandelt es auch - oder gerade - spezifisch die Einwanderer, die nach Italien wollen?
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ciao, sfumatura
 
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anse
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Bei Waldbrand Tel. 1515

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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #5 - 15.03.2010 um 11:26:45
 
"Bilal" ist anders. Es ist kein Report von Journalisten über die Flüchtlingströme aus Schwarzafrika nach Europa, sondern ein Stück Lebensgeschichte von Fabrizio Gatti.
Am deutlichsten wird das, als er auf Lampedusa die eigene Identität unsichtbar macht, alle Brücken hinter sich abbricht, sich als Bilal aus dem Meer fischen lässt, ins Lager kommt als der kurdische Flüchtling Bilal, erst als das Leben in der Identität von Bilal bedrohlich wird, wieder zu Fabrizio Gatti wird.
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Bei Waldbrand Tel. 1515

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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #6 - 10.04.2010 um 09:54:09
 
Der Weg der Armutsflüchtlinge geht nicht nur von Süden nach Norden, wie ihn Fabrizio Gatti in „Bilal“ selbst erlebt und dokumentiert hat.
http://www.italienforum.de/cgi-bin/yabb2/YaBB.pl?num=1266562995
Es gibt ihn auch zurück, von Italien, das Teil der Festung Europa ist, nach Libyen und dann durch die Sahara in die Länder Westafrikas, aus denen Millionen vor Kriegen, Bürgerkriegen, ethnischen Säuberungen, korrupten und unfähigen Regimes, Armut, Elend und Umweltzerstörung geflohen sind.
Die Abkommen von 2005 und 2009 zwischen Berlusconi und Ghadhafi über die Zurückführung der Flüchtlinge in ihre Heimatländer, bzw. in das erste Durchgangsland, aus dem sie vor der Durchquerung der libyschen Wüste gekommen sind bedeutet oft den Tod der gescheiterten Flüchtlinge.
Italien lässt sie nach Libyen zurückbringen, wo sie in Lagern untergebracht werden. Von dort werden sie ins Ursprungs- oder erste Durchgangsland, die Republik Niger, zurückgebracht, vom letzten libyschen Grenzort Al Gatrun werden sie bis zur Grenze gefahren, wo es 80 km weglose Sandwüste bis zu den Grenzorten des Niger, Fort Madama und Dao Timmi, sind. 80 km zu Fuß durch die Wüste, ohne Wasser, ohne Orientierung. Wenn sie das Glück haben, an Schleuser übergeben zu werden, haben nur die eine Chance, die Geld haben. Und in Fort Madama und Dao Timmi ist die Wüste noch lange nicht zu Ende.
http://espresso.repubblica.it/dettaglio/morire-nel-deserto/2119367//0
Das mit einem Telefonino aufgenommene Video stammt von 2009 und zeigt das Ende einer Gruppe von 7 Männern und 4 Frauen, die in der Wüste zwischen Libyen und Niger ihr Leben verloren haben.


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peuli132
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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #7 - 23.07.2010 um 11:38:16
 
Ich hatte das Buch ja schon vor meinem Urlaub bestellt, es aber bei der Abreise vergessen. Vielleicht besser so, gestern abend habe ich mit der Lektüre begonnen und es wurde spät ! Fabrizio Gatti hat mir die Nachtruhe geraubt!  Er schildert eine Odyssee, wie sie grausamer kaum sein könnte und zeigt, wie moderner Menschenhandel funktioniert.

Nochmal danke an anse für den Buchtipp - manche Dinge muss man lesen, obwohl man sich danach sicher nicht wohler fühlt oder -wie ich - sein Weltbild nochmal um ein Stück verändern muss.


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anse
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Re: Fabrizio Gatti: Bilal
Antwort #8 - 06.12.2010 um 19:32:24
 
Freispruch für Bilal
Francesco Gatti ist freigesprochen von der Strafbarkeit der falschen Identität. Er nannte ich Bilal und gab an kurdischer Flüchtling zu sein, als er an einem Strand der Insel Lampedusa aus dem Meer gefischt wurde und dann im Flüchtlingslager auf er Insel aufgenommen wurde, wo er alle Quälereien erfuhr, die viele andere Bootsflüchtlinge erfuhren. Sein Bericht im „Espresso“ und in seinem Buch „Bilal“ war der erste Bericht über die Lage der Flüchtlinge aus einem der Lager, den ein unmittelbar Betroffener geschrieben hatte.
Er wurde dann wegen des Gebrauchs falscher Identität angeklagt, ein Jahr Haft forderte die Staatsanwaltschaft. Das Gericht in Agrigent begründete den Freispruch ausdrücklich mit dem Anspruch der Öffentlichkeit auf ungeschönte Information.
http://espresso.repubblica.it/dettaglio/lampedusa-gatti-assolto/2139698
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