... und was nicht?  

Die, die breits ausgewandert sind, haben diese Erfahrung wahrscheinlich gemacht: man will unbedingt weg, weil einem an der Heimat dieses und jenes nervt... aber wenn man dann erstmal im "gelobten Land" ist, dann merkt man, dass einem gewisse Dinge aus der "alten Heimat" doch irgendwie fehlen.

Wie sieht's bei Euch aus (ganz egal, ob Ihr Auswanderer seid oder nicht... stellt's Euch einfach mal vor!   )? Was würdet Ihr nur allzu gerne hinter Euch lassen? Was würdet Ihr vermissen? Was würde Euch ganz besonders nach Italien ziehen? Und was meint Ihr, würde Euch in Italien auf die Nerven gehen?

Ich versuche mal, für mich zu antworten:
Bei mir war der Grund zum Auswandern weniger, dass mich in Deutschland etwas wirklich genervt hätte (ausser der Kälte... mit Schnee und Eis kann ich's überhaupt nicht!   ), sondern ich wollte schon immer in Italien leben, seit ich klein war. Daher hat mich im Grunde alles, das nicht italienisch war, irgendwie genervt. Aber nicht, weil es nicht gut gewesen wäre... es war halt einfach zu weit weg von Italien.  

Was ich an Italien schon immer besonders geliebt habe, ist die Natur, sind die Landschaften, die Kunst und die flexible, elastische Lebensweise vieler Italiener.

Ich war sehr jung, als ich nach Italien gegangen bin und hatte mich mit den "praktischen" Aspekten so gut wie garnicht auseinandergesetzt. Ich hatte diese Dinge ja im Grunde auch im deutschen Alltag noch nicht wirklich kennengelernt.
Ich war eine von diesen typischen, total unvorbereiteten Auswanderern: keine Wohnung, kein Job, kein Geld. "Das wird schon irgendwie", habe ich gedacht... und irgendwie ist es ja auch geworden.  

Anfangs hab' ich eigentlich garnichts vermisst... ich hatte viel zuviel zu tun. Aber dann ging's schön langsam los, dass ich in den Geschäften dieses und jenes nicht fand... dass mir die deutsche Ordnung und Sauberkeit irgendwie fehlte... dass ich zum Arzt musste und Sehnsucht nach dem deutschen Gesundheitswesen hatte... nach Bussen, die pünktlich kommen, nach Zügen, die nicht ständig Verspätung hatten, danach, eine Bank betreten zu können, ohne erst alles Matallische ablegen und dann durch diese blöden "Kontrolltüren" gehen zu müssen, die für Klaustrophobiker gruselig sind... und... und... und...

Nach all den Jahren, die ich nun in Italien lebe, ist es eigentlich noch immer "wie am ersten Tag". Ich vermisse dieselben Dinge, ich liebe dieselben Dinge und mich nerven dieselben Dinge.

Und nun bin ich gespannt, wie das bei Euch ist oder war... oder wie Ihr Euch vorstellt, dass es sein könnte.  

Die hiesigen Italiener fühlen sich in Italien nicht zu Hause und in Deutschland auch nicht. Ich habe oft beobachtet das die Italiener in Deutschland von Italien schwärmen und in Italien von Deutschland.
Als ich noch in SIzilien wohnte da brauchte man KEIN Rezept um ein Antibiotikum zu bekommen, man war ja irgendwie verwandt. Der Metzger wurde Chirug, der Schneider zum Krankenpfleger ( ohne Umschulung ). Es gab keine Anschnallpflicht und die wenigsten Autos hatten eine Autoversicherung. Die meisten Geschäfte haben ohne Registrierkasse gearbeitet ( das wurde erst ca. 1986 eingeführt ) und der Müll wurde vor der Stadt entsorgt. Die freilaufenden Hunde sorgten schon dafür das da nicht mehr viel von übrig blieb. Das war Sizilien in den 80zigern.
Heute gibt es Parkuhren, Müllabfuhr ( der wird sogar getrennt ) Anschnallpflicht, Registriekassen, Steuer wird bezahlt und man braucht sogar ein Rezept, auchw enn man verwandt ist. Es ist nicht mehr das Sizilien das ich kennengelernt hatte. Es gibt Playstation, Scheidungen und Markenartikel. Aber es passt irgendwie nicht. Klar die wollen sich auch modernisieren, aber es passt nicht. Zum Beispiel kostet eine Hochzeit da sehr viel Geld, da kann man sich nicht einfach scheiden lassen nur weil das heute so geht. Damals war das tabu. Heute geht das aber dann sollte man vielleicht auch etwas billiger heiraten. Zum Beispiel !!
Ich wohne sit 19 Jahren wieder in Köln.
Ich vermisse den Wein, das Brot, das Wasser ohne Kalk, die gute Luft am Ätna, das Gemüse das noch nach Gemüse schmeckt, meine Freunde aber das Sizilien das ich mal so geliebt habe, das natürliche Sizilien, das gibt es nicht mehr. Leider!!

bellaitalia schrieb am 18.02.2008 um 07:58:06:


Hast Du während Deiner Zeit in Sizilien auch etwas von Deutschland vermisst?
Gab es im "alten" Sizilien etwas, mit dem Du nicht gut klarkamst?

Das ist eigentlich der Aspekt, der mich interessiert: was erwartet man sich, wenn man auswandert? Was bekommt man? Was hat einen an der "alten Heimat" gestört und was hat man eventuell erst zu schätzen gelern, als man es nicht mehr hatte?

Es wäre allerdings auch interessant, einen Thread zu eröffnen, in dem wir das "frühere Italien" mit dem heutigen vergleichen. So ganz nach dem Motto "si stava meglio quando si stava peggio" 

camperine schrieb am 18.02.2008 um 09:37:57:


Ich glaube, bestimmte Eigenschaften sind so tief verwurzelt, dass sie nicht so leicht auszurotten sind... zum Glück!  

Aaaaber... wie war das?

Zitat:


Das musst Du mir unbedingt genauer erklären!  

Zitat:


Oh, die gibt's noch, keine Sorge!  

catalina schrieb am 18.02.2008 um 10:49:47:


Dass sich das Gesundheitswesen in den letzten 20 Jahren auch in D geändert hat, das ist schon klar, als ich ausgewandert bin, war der Unterschied aber ganz enorm... und damals hatte ich halt wirklich ein grosses Problem damit.
Allerdings muss ich sagen, dass die Arztbesuche in D auch heute noch unproblematischer, schneller und günstiger sind als hier. Keine Ahnung, ob da mein "Heimatdorf" eine besonders glückliche Insel ist...  

Was die Apotheken betrifft, so haben wir hier offenbar Glück... wir kennen den Apotheker und bekommen die meisten Medis auch ohne Rezept.  

Zitat:


*lach*
Nun, in Peschici haben die Nachbarn geschielt um rauszufinden, wann man wo hingeht, wer wann zu wem kommt, wie lange er bleibt und was er dabeihat, mit wievielen Koffern man verreist und mit wievielen man zurückkommt... usw. usf.  

Zitat:


Yep, ich arrangiere mich auch lieber hier... gestehe aber, dass ich gewisse Aspekte der "alten Heimat" schon vermisse.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass es irgendwie verpönt ist, wenn man das sagt und dass man mich davon überzeugen möchte, dass es die Dinge, die ich an D gut finde, eigentlich garnicht gibt. (Das bezieht sich jetzt nicht auf Deinen Beitrag! Aber hier gab's ja schon oft Diskussionen dieser Art.)

Wie gesagt, ich würde in D gewisse Aspekte Italiens vermissen und in I vermisse ich gewisse Aspekte Deutschlands. Nur... wenn ich die italienischen Aspekte vermisse, dann erklärt mir nie jemand, dass es die in Wirklichkeit garnicht gibt, oder dass sie auf irgendwelchen negativen Grundlagen basieren.
Im Gegenteil, meist sagt man mir, dass die negativen Aspekte einen positiven Hintergrund haben.  

Klasse, Marea, Danke, Du hast es geschafft,
jetzt sitze ich hier im Büro mit feuchten Augen - und vermisse mein Italien.

Ich bin ja eigentlich ein Auswanderer nach Deutschland, obwohl ich ja
im Prinzip ausgewandert wurde 

Obwohl ich fast mein ganzes bisheriges Leben in D verbracht habe,
fehlt mir Italien immer. Natürlich habe ich weniger Alltagserfahrung dort,
obwohl ich 3-4 mal im Jahr in Italien bin und über meine dortige Verwandschaft
natürlich schon einen gewissen Einblick in die alltäglichen Abläufe bekomme.

Mittels Sat-TV und Internet bin ich natürlich einigermassen auf dem Laufenden.
Doch trotz all der Horrormeldungen weiss ich genau, wenn ich in Italien bin,
werde ich wieder mit "meinen Leuten" in der Bar einen Caffe' trinken und
über dieses und jenes reden, werde darüber diskutieren, wie das Olivenöl
geworden ist und mich erkundigen, wo ich Tomaten herbekomme um mir
meinen Wintervorrat Tomatensosse einzukochen. Die Fussball-EM geht bald los
und die Formel Eins. Das muss besprochen werden.
Wir besuchen das überlaufene Rom, werden eine Woche in Umbrien in der
Pampa wohnen und dann in den Abruzzen am Lungomare in Flip-Flops
umherschlendern, ein Eis essen - einfach "Sein".

Das klingt oberflächlich. Ich bin kein Dichter, ich kann dieses Gefühl nicht
in Worte fassen. Aber sobald ich über die Grenze fahre, spüre ich eine
Wärme, eine Euphorie in mir, dass ich (zum Leidwesen meiner Frau und
meiner Kinder) nicht anders kann als lauthals loszusingen.

Im deutschen TV kommt immer eine Sendung die heisst "Quiztaxi".
Da werden die Fahrgäste befragt und können Geld gewinnen (ähnlich wie
"Wer wird Millionär" nur mit weniger Kohle). Da sassen neulich drei ital.
Touristen drin die zum deutschen Karneval wollten. Bei jeder richtigen
Antwort sind die fast ausgeflippt, haben angefangen "Azzurro" zu singen etc.
Das fehlt mir hier in Deutschland. Dieses Temperament und diese Leidenschaft.
Als bei der WM 2006 die Trophäe überreicht wurde, konnten es die Spieler
kaum erwarten und berührten, küssten, streichelten den Pokal.
Am nächsten Morgen meinte mein Kollege, dass er das furchtbar fand.
"Die hätten doch anständig warten können, bis ihnen der Pokal überreicht
wurde." Und das macht den Unterschied aus. 99% Gefühl, 1% Vernunft.
Dir ist zum Singen zumute? Dann SING! Du könntest fluchen vor Ärger?
TU ES! Bei einem Glas Wein kann man später die Wogen glätten.
Aber zeig Deinen Mitmenschen, dass Du lebst, dass Du atmest, das Du BIST!

Das fehlt mir hier in Deutschland.

Ok, jetzt hab ich die ursprüngliche Frage natürlich nicht beantwortet.
Wenn ich in Italien leben würde, würde ich vielleicht das Pflichtbewusstsein
gegenüber der Gemeinschaft vermissen.
Und die Ordnung in manchen Einrichtungen (Krankenhaus, Schule, etc.).

- und wenn's kalt ist, Linsen mit Spätzle und Saitenwürstle (obwohl bei
Kälte auch eine leckere Polenta hilft    )

So nach und nach hab ich das deutsche Gesundheitswesen vermisst, speziell als ich sah, wie der Mann meiner schwerkranken Schwägerin zentnerweise Schinken und Cacciocavallo nach Napoli karrte um dort in der Klinik die Gunst von Ärzten und Pflegern zu erhalten.
Vermisst habe ich machmal die Abwicklung in deutschen Ämtern - wer hätte das gedacht!
Speziell in Juli und August habe ich die deutsche Müllabfuhr vermisst, obwohl das unlogisch war. Die Abfallcontainer wurden in der Hochsaison 2 x täglich geleert, aber wenn sich wieder mal aufgeplatzte Plastiktüten und ausrangierte Möbel um die Container häuften, vermisste ich die sauberen Straßen.
Vermisst habe ich auch manchmal ein wenig gegenseitige Rücksichtnahme, wenn mein Nachbar nicht schlafen konnte und um 3 Uhr morgens zu sägen begann oder wenn der Metzger schwarz geschlachtet hatte und nachts das Beil schwang, um die Tiere zu zerlegen.
Seitdem ich wieder in D bin, vermisse ich eine ganze Menge: Morgens als erstes auf das Meer zu blicken, den Geruch, der in der Luft liegt, den sternenklaren Nachthimmel, von April bis November im Meer zu baden, morgens spontan mit Brot, Käse und Wein in die Foresta Umbra zu ziehen und den ganzen Tag dort zu verbringen, abends mit Freunden in der campagna oder auf der Piazza zu sitzen und die milde Luft zu genießen, meine alte Nachbarin, die mich immer besuchte, als es mir gesundheitlich nicht gut ging und in ein lautes "Gloria al Signore" ausbrach, als ich zum ersten mal wieder selbst öffnete. Ich vermisse, es wilde Kräuter und Gemüse sammeln zu können, um diese Jahreszeit einen Strauß Mimosen zu schneiden, abends im Hafen spazieren zu gehen und den Sonnenuntergang zu betrachten und, und, und....

Und darum bin ich glücklich, daß ich bald wieder für ein paar Monate in bella Italia sein werde.
Vi saluto
peuli

peuli132 schrieb am 18.02.2008 um 17:27:58:


Ich heul' jetzt dann gleich mit Tartufo um die Wette!
Picknick in der Foresta ist eine meiner  allerliebsten Lieblingsbeschäftigungen am Gargano!

Zitat:


Ja stimmt, die blühen hier schon wie wild, trotz der Kälte! 

Zitat:


Wann geht's denn los??